23.9.08

Jean Johnson: Die Pflege und Fütterung von Handlungs-Häschen


Tun Sie es nicht.


Unglücklicherweise soll ich ein wenig mehr schreiben, als diese paar Worte. Vermutlich sollte ich weiter ausführen, was ich damit gemeint habe und wieso ich es geschrieben habe. Genau genommen werden Ihnen die meisten Schriftsteller mitteilen: „Füttern Sie bloß nie die Handlungs-Häschen!“ Wenn Sie daraufhin sagen, dass Handlungs-Häschen ermutigt werden sollten, werden diese Autoren vermutlich schaudern, eine Grimasse ziehen oder sich ihre Ohren zuhalten und sich in ihr persönliches friedvolles inneres Plätzchen zurückziehen.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, was ein Handlungs-Häschen ist. Nun, zuallererst haben Schriftsteller eine sehr lebhafte Fantasie. Wir neigen dazu, unsere Vorstellungen zu personifizieren und vermenschlichen. Daher stellen wir uns, wenn wir eine richtig niedliche oder geniale oder faszinierende Idee für eine Geschichte haben, vor, sie wäre ein niedliches kleines Tierchen. Normalerweise ist es ein flauschiges, knuddliges Häschen. Ich bin wohlgemerkt schon Opfer von Handlungs-Chihuahas und Handlungs-Anakondas geworden, aber das sind weniger erfreuliche Handlungs-Kreaturen und eher für einen Vortrag über „Pflege und Fütterung von Handlungs-Häschen für Fortgeschrittene“ geeignet.

(Auch hier lautet die Empfehlung: Tun Sie es nicht!)

Aber lassen Sie uns das Handlungs-Häschen genauer untersuchen. Stellen Sie sich vor, Sie machen eines Tages Ihren Abwasch, während der Rest Ihrer Familie in alle Himmelsrichtungen zerstreut ist und sich natürlich geweigert hat, Ihnen dabei zu helfen. Und jetzt bekommen Sie auf einmal diese grandiose Idee für eine Geschichte: Eine arme, unterdrückte junge Lady, die gezwungen wird, in ihrem eigenen Heim als Dienerin zu arbeiten, bekommt aus heiterem Himmel eine Einladung zu einer schicken Party, wo sie die Chance haben wird, einen reichen, gut aussehenden Gentleman zu treffen, auf den sie schon seit längerem ein Auge geworfen hat … aber sie hat nichts anzuziehen, weil ihre Schwestern ihr bestes Outfit gestohlen und Kaffee darauf geschüttet haben, so dass keinerlei Hoffnung besteht, die Flecken jemals wieder zu entfernen. Während Sie also so vor sich hin tagträumen und Ihren Abwasch machen, stellen Sie sich vor, dass eine nette Freundin auftaucht und Ihrer Heldin nicht nur ein Kleid leiht, das alle Männer hinter ihr herhecheln lässt, sondern auch die Schlüssel zu ihrem Porsche, damit sie mit Stil zur Party fahren kann.

Hört sich wie eine großartige Idee für eine Geschichte an, nicht wahr? Sie würden am liebsten zu Ihrem Computer hetzen und sofort anfangen, sie zu schreiben … aber Sie müssen erst noch den Abwasch fertig machen und abtrocknen. Allerdings lässt sich die Idee nicht wegscheuchen. Sie sitzt da auf der Theke neben dem Abfluss, sieht Sie mit niedlichen kleinen Häschenaugen an und wackelt mit dem niedlichen Hasennäschen. Sie hören nur noch: „Schreib mich … *wackel wackel* … schreib mich, bitteeeeeee.“

Und es sieht so niedlich, flauschig und harmlos aus ... und wenn Sie jetzt nachgeben und den Beginn Ihrer Version einer modernen Cinderella-Geschichte schreiben, werden Sie von Ihrer Familie angebrüllt, weil Sie den Abwasch halb fertig haben stehen lassen. (Das ist natürlich absolut unfair, weil diese selbstsüchtigen, faulen Fieslinge von Beginn an hätten da bleiben und helfen können.)

Nun haben einige Schriftsteller die Fähigkeiten, Handlungs-Häschen zu ignorieren. Wenn sie ignoriert werden, werden einige tatsächlich weghoppeln und für eine lange Zeit nicht wiederkommen – wenn sie überhaupt wiederkommen. Aber sie sind hartnäckige kleine Handlungs-Nagetiere, die sich still in Zylindern und alten Schuhen verstecken und durch Reste in Kaffeetassen und Kekskrümel überleben. Sie kommen wieder und werden immer noch niedlich und flauschig sein und mit ihrer Niedlichkeit an Ihren Verteidigungswällen nagen, bis es heißt: Entweder Sie oder die Handlungs-Häschen!

Noch schlimmer: Sie vermehren sich. Sagen wir mal, Sie schreiben Ihre moderne Cinderella-Geschichte. Wie war das noch mal mit der Freundin mit dem Porsche? Stellen Sie sich vor, Ihr erstes Handlungs-Häschen bringt ein zweites mit, und plötzlich haben Sie eine Idee für diese Freundin, die in ein Koma fällt. Deren bester Freund, ein Arzt, setzt nun Himmel und Hölle in Bewegung, um sie wieder aufzuwecken, damit er endlich den Mut zusammenkratzen kann, ihr zu sagen, dass er sie liebt, und so weiter und so fort. (Ja, ich benutze Neudeutungen von Märchen. Diese Handlungs-Häschen sind so alt und oft benutzt, dass sie fast zahm sind … Betonung auf „fast“.) Und dann stellt sich heraus, dass der Arzt einen Freund hat, der ein Geheimagent ist und angeschossen wird, während er versucht, die Pläne zu stehlen, die er braucht, um – Ahhhhhh! Nehmt es weg! Runter von mir – zurück, du garstiges, wuschliges Biest! Zurück! *Schläge von einem Hausschuh nach einem kleinen flauschigen Etwas sind zu hören*

*ähem* ... Wo war ich? Ach, ja. Handlungs-Häschen vermehren sich. Besonders wenn sie durch einen Schriftsteller ermutigt werden, der die Geschichten schreibt, die sie repräsentieren.

Sie sind auch sehr pflegebedürftige Kreaturen. Sie knabbern an Ihrer Freizeit und sind dabei so niedlich und süß und flauschig, dass Sie bald süchtig nach ihnen sind. Schlimmer noch wird es, wenn Sie für sie eine andere Aktivität aufgeben – wie z.B. fernsehen – und somit noch mehr freie Zeit haben. Handlungs-Häschen ändern ihre Größe und Anziehungskraft, um jeglichen und sämtlichen freien Platz einzunehmen, gibt man ihnen auch nur die kleinste Ermutigung oder offene Lücke, in die sie sich quetschen können. Und manchmal mutieren sie. Handlungs-Chihuahuas jaulen und kläffen ständig mit der Bitte, geschrieben zu werden. Handlungs-Anakondas queeeeetschen sämtliche Ihrer anderen Aktivitäten auf die Seite, so dass Sie kämpfen müssen, um während des ganzen Schreibens überhaupt noch Raum zum Atmen zu finden. Handlungs-Löwen brüllen und knurren und verwandeln Sie in ein Wesen, mit dem das Zusammenleben einfach unmöglich ist.

Wenn Sie nicht vorsichtig bei der Kontrolle und beim Ignorieren Ihrer Handlungs-Häschen sind, werden Sie bald als die „Schriftstellerin mit all den Handlungs-Häschen“ bekannt sein. Das wird dann auf die gleiche, naserümpfende Art und mit bedenklich zur Seite geneigtem Kopf gesagt werden, wie die Worte: „diese ältere Person mit all den Katzen“.

Nein, nein ... es ist sehr viel besser, Pflege und Fütterung von Handlungs-Häschen zu entmutigen. Natürlich könnten Sie meine Hinweise ignorieren, aber was immer Sie auch tun, ich rate Ihnen dringend zu tun, was auch immer nötig ist, um sie davon abzuhalten, sich zu vermehren, bis sie zu zahlreich sind. Gehen Sie spazieren, arbeiten Sie im Garten, waschen Sie ab, sehen Sie fern. Aber – aus Liebe zu Ihrer freien Zeit – lassen Sie sie niemals so groß werden, dass sie Anspruch auf Stadtrecht erheben können.

Bitte entschuldigen Sie mich jetzt, denn ich muss eine Unterredung mit dem Bürgermeister der Handlungs-Häschen-Stadt führen bezüglich einer Idee für eine Handlungs-Häschen-U-Bahn, die unter dem Handlungs-Häschen-Geschäftsbezirk gebaut werden soll.

Jean
Die Autorin mit (iiiiiih) all den Handlungs-Häschen